Borreliose
Die Borreliose - eine verharmloste und heimtückische Infektionskrankheit mit Tarnkappe ist im Gegensatz zur Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) keine virale, sondern eine bakterielle Erkrankung, die durch das Bakterium Borrelia burgdorferi (Borrelien) aus der Gruppe der Spirochäten (schraubenförmige Bakterien) ausgelöst wird. Überträger der Borrelien sind Zecken, die den Erreger, der sich in deren Magen-Darmtrakt befindet, während des Saugaktes nach einigen Stunden - in der Regel in einem Zeitfenster von 4 bis 24 Stunden nach dem Einstich - auf den Menschen übertragen. In Deutschland ist das vor allem die Zecke Ixodes ricinus, auch gemeiner Holzbock genannt. Die Übertragung der FSME-Viren, erfolgt hingegen unmittelbar beim Einstich. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist in der Schwangerschaft auf das ungeborene Kind möglich. Die Zecken kommen entgegen der landläufigen Meinung nicht nur im Wald, sondern auch auf Wiesen,Gärten, Parks, Kindergärten und Spielplätzen mitten in der Stadt vor. Nach entsprechenden Untersuchungen sind bereits in Rheinland-Pfalz - je nach Region - bis zu 80% der Zecken infiziert. Während das Vorkommen des FSME-Virus in Deutschland nur auf bestimmte Risikogebiete beschränkt ist, besteht ein hohes Risiko einer Borrelieninfektion flächendeckend in Deutschland, Europa, Amerika, Afrika und Asien. Mit dem FSME-Virus infizieren sich in Deutschland jährlich ca. 300 Personen, wohin die Zahl der Neuerkrankungen mit dem Borrelioseerreger auf über 100.000 geschätzt wird. Deshalb wird die Borreliose häufig als Volkskrankheit oder die Seuche des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Gegen die Borreliose gibt es - anders als bei FSME - keinen zugelassenen Impfstoff und keine Immunität!
Zeckenschutz und -entfernung
Zecken fallen nicht von Bäumen, sie lassen sich in bis zu 1,50 Meter Höhe von ihren Opfern abstreifen. Viele der am Menschen gefundenen Zecken sind Nymphen, gerade mal einen Millimeter groß und mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Schutz bietet eine helle langärmlige und -beinige Kleidung. Auf dieser sieht man sie am besten und je glatter der Stoff ist, umso schlechter können sie sich festkrallen. Insektenabwehrende Mittel aus Apotheke und Drogerie bieten nur bedingt Schutz. Wirksamer ist sorgsames abendliches Absuchen der Haut. Typische Verstecke sind: Kniekehlen, Achseln, Armbeugen, Haaransatz, Ohren, Hals, Brustfalten, Genitalien, Füße und Zehen. Auch das Absuchen der Kleidung - Zecken können in dieser bis zu 48 Stunden überleben - gehört dazu. Um die Zecken abzutöten, sollte man diese 10 Minuten in den Trockner geben. Ebenfalls sollten Hund, Katze & Co. - nach im Fell herumkrabbelnden Zecken - abgesucht werden. Diese noch nicht festgesaugten Zecken können beim Streicheln auf den Menschen überwechseln. Die Entfernung einer Zecke sollte unverzüglich erfolgen und geschieht am besten durch gerades Herausziehen, wobei die Zecke möglichst nah an der Hautoberfläche zu greifen ist. Hierfür eignet sich eine gut schließende L-förmige Zecken-Pinzette oder eine Zeckenkarte. Die Zeckenkarte ist eine scheckkartengroße Schablone aus Kunststoff mit einer Nut, mit der man Zecken heraushebeln kann. Sogenannte "Zeckenzangen" sind nicht geeignet, da die Zecke durch ihre großen Greifbacken gequetscht wird. Ein Quetschen des Zeckenkörpers sollte unter allen Umständen vermieden werden um dessen Inhalt nicht "einzuspritzen" und somit das Infektionsrisiko zu erhöhen. Keine Panik - aber die Stichstelle und sich selbst nicht aus den Augen verlieren
Verlauf und Symptome
Die Borreliose ist eine heimtückische Multisystem-Erkrankung, die alle Organe befallen und falls sie nicht rechtzeitig erkannt und ausreichend mit geeignetem Antibiotikum behandelt wird zu lebenslangen chronischen Beschwerden führen kann. Eine Infektion verläuft in mehreren Krankheitsstadien, die fließend ineinander übergehen oder auch übersprungen sowie durch sehr lange freie Intervalle getrennt sein können. Diese freien Intervalle, in denen der Betroffene manchmal völlig beschwerdefrei sein kann, gehören zu den besonderen Charakteristika der Borreliose. Wegen der unglaublichen, häufig wechselnden, Symptomvielfalt - welche viele andere Krankheiten imitieren kann - wird die Borreliose häufig als „der große Imitator“ bezeichnet. Die „typische“ Borreliose gibt es nicht. Häufige Fehldiagnosen der Borreliose sind: Psychosomatische Störungen, Arthritis, Gelenkrheuma, Polyarthritis, Bursitis (Schleimbeutelentzündung), Bandscheibenvorfall, Bindehautentzündung, Entzündungen aller Augenteile, Gefäßbeschwerden (Thrombose), Hirnhautentzündung, Karpaltunnelsyndrom, Gelenkentzündungen (alle großen Gelenke, auch Kiefergelenk), Multiple Sklerose, Fibromyalgie, Sehnenscheidenentzündung, HWS-Syndrom (Hals-Wirbelsäulen-Syndrom) und Schlaganfall. Im 1. Stadium - nach der Übertragung der Borrelien - kommt es zunächst zu einer lokalen Infektion der Haut. Nach einigen Tagen bildet sich um die Einstichstelle eine sich ringförmig ausbreitende Rötung (Erythema migrans, Wanderröte). Häufig tritt nur eine sehr diskrete Entzündungsreaktion auf, die vom Betroffenen übersehen wird. Die Wanderröte ist das einzige klinisch eindeutige Zeichen einer Borrelieninfektion im 1. Stadium und sollte als Beweis - auf Fotos - gesichert werden. Desweiteren können Ansammlungen weißer Blutkörperchen (Knötchen, Lymphozytome) an Ohrläppchen, Brustwarze, Hoden, Ellenbogen und anderen Stellen auftreten. Die Wanderröte fehlt in ca. 50% der Fälle völlig und die Infektion bleibt oft unbemerkt. Wenige Tage bis Wochen nach dem Stich beginnt die Krankheit mit unspezifischen grippeähnlichen Allgemeinsymptomen wie erhöhter Körpertemperatur, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Durchfall, Erbrechen, Gelenkschmerzen, Muskel-, Bänder- und Faserschmerzen, Heiserkeit, Schweißausbrüche,Nachtschweiß, Nackensteifigkeit, Rückenschmerzen, Schluckbeschwerden, Übelkeit und Anderes. Diese Symptome werden häufig als einfache Sommergrippe fehlgedeutet. Wird mit dem Stich eine Blut- oder Lymphbahn getroffen, können diese Symptome vollständig fehlen und Tage/Wochen nach dem Stich ein Übertritt in das 2. Stadium erfolgen. Im 2. und 3. Stadium – meist einige Wochen bis Monate, beim 3. Stadium auch Jahre, nach dem Stich – kommt es zur Streuung des Erregers. In diesen Stadien zeigt die Borreliose ihr wahres Gesicht und es kann ein völlig buntes Symptombild auftreten: Gelenkentzündungen, Gelenksteifigkeit, starkes Schwitzen (besonders nachts), Muskelschmerzen, Nervenschmerzen, Kopfschmerzen, Schmerzen in der Wirbelsäule, Gehirnfunktionsstörungen (Lähmungen, Doppelbilder, Verlust des Gehörs oder Geruchsinns, Verwirrtheit, Apathie, Sensibilitätsstörungen), Herz (Herzbeutelerguss, Herzentzündung, Herzrhythmusstörungen), Sprech-, Schreib-, Wortfindungsstörungen, Haut (Ekzeme, Entzündungen, Knötchen, Schwellungen, Mundschleimhaut-Entzündungen), Auge (Entzündungen an allen Teilen), Depression, Erschöpfung, Müdigkeitssyndrom, Fibromyalgien, Frösteln vor und nach Schweißausbrüchen, Gereiztheit, Gesichtsrötungen, Haarausfall, Halsschmerzen, Konzentrationsstörungen, Desorientierung, Lichtempfindlichkeit, Lymphknotenvergrößerung, Ohrgeräusche, Parkinson-Symptome, Persönlichkeitsveränderungen, Potenzstörungen, Psychische Störungen, Pulsfrequenzerhöhung, Schilddrüsenunter- oder -überfunktion, Schwindelattacken, Sehstörungen, Spasmen, Traurigkeit, Wundgefühl über den Rippen und andere.
Diagnose
Die Diagnose der Borreliose gestaltet sich im Früh- und Spätstadium oftmals schwierig. Besonders wenn der Zeckenstich nicht sichtbar oder erinnerlich ist und die typischen Krankheitsmerkmale, wie die Wanderröte, im Frühstadium ausbleiben und das bunte Symptombild einer Spätphase nicht an eine Borreliose denken lässt. Laboruntersuchungen des Blutes (Serologie) helfen in schwierigen Fällen die Diagnose zu sichern, sind jedoch aus verschiedenen Gründen nicht hundertprozentig sicher. Zu den Methoden der Borrelien-Labordiagnostik gehören u.a. der Borrelien-Suchtest (ELISA oder IFT) und der Borrelien-Bestätigungstest-Test (Western- oder Immunoblot). Ist dieser Test negativ, so kann trotzdem eine Borrelieninfektion vorliegen. Borrelien sind u.a. in der Lage sich vor dem Immunsystem zu tarnen. Auch eine frühe Gabe von Antibiotika nach einem Zeckenstich kann die Antikörperbildung unterdrücken, ist aber bei klinischen Verdacht einer Borreliose unbedingt notwendig. Auch der Einsatz von Kortison oder Immunsuppressiva kann den Test neg. beeinflussen. Nachgewiesenermaßen gibt es 27 Ursachen dafür, dass keine Antikörper messbar sind, obwohl eine Borrelieninfektion vorliegt. Des Weiteren kann der Suchtest durch Kreuzreaktion mit anderen Erregern auch falsch positive Ergebnisse liefern. Aus diesem Grund wird in unserer Praxis als Bestätigungstest immer ein Westernblot oder Immunoblot durchgeführt, in dem die einzelnen Oberflächenproteine der Borrelien und die jeweils gegen sie gerichteten Antikörper genauer aufgespalten werden. Dieser Test liefert zuverlässigere Ergebnisse und kann zusätzlich eine Auskunft über das Stadium der Borreliose geben. Aber auch hier kann es aus den o. g. Gründen zu einem falsch negativen Ergebnis kommen.
Um der Borreliose auf die Spur zu kommen, ist das Gesamtbild aus Vorgeschichte, Verlauf, Krankheitssymptomen und Laborergebnissen zu betrachten.
Die Wanderröte, das Erythema chronicum migrans (ECM) kann auch - wie oben beschrieben - untypisch erscheinen. Nicht immer haben wir nach außen wandernde Ringe, oder die sind so groß über den Körper gewandert, dass man den Ring gar nicht erkennt. In einem eindrücklichen Fall wurde ein Patient extern deshalb auf Pilzbefall behandelt. Manchmal sieht man kaum Hauterscheinungen, oder nur eine diffuse Rötung (s. Bild aus meiner Praxis). In diesem Fall war 6 Wochen später erst der positive Befund im labor ersichtlich (Serum-Borrelien IgM-EIA 62,1 - norm bis 18 U/ml). Manchmal können auch 180 Tage vergehen, bis das Labor einen postiven Befund zeigt. Schwierig wird es, wenn im Serum trotz Borrelien-Befall keine Antikörper gefunden werden, was im Praxisalltag oft genug vorkommt. Die Ringe können auch multilokulär, d.h. an verschiedenen Stellen auftreten.
Therapie
Die Therapie erfolgen stadien- und symptomgerecht mit wirksamen Antibiotika. Dabei gilt: Je früher therapiert wird, umso größer sind die Chancen auf eine vollständige Heilung. Der „Startschuss“ für eine Antibiotikum-Therapie im Frühstadium ist die Wanderröte oder das Auftreten der Allgemeinsymptome nach erinnerlichem Zeckenstich. Auch bei negativen Laborergebnissen um mögliche Spätfolgen zu vermeiden! Ein Hauptproblem bei der Therapie ist, dass die Borrelien sich in Körperregionen zurückziehen können und dort vom Antibiotikum schlecht erreichbar sind. Dadurch können ruhende Erreger (Persister) eine Therapie überdauern und später wieder aktiv werden. Deshalb sollte das verwendete Antibiotikum nicht unterdosiert und ausreichend lange verabreicht werden. Um vorhandene Persister zu eliminieren sind oft - vor allen Dingen in späteren Stadien - mehrere Therapiezyklen mit unterschiedlichen Antibiotika notwendig.